Hochwasser Rösrath

Das Hochwasser 2021

By Markus Walther, August 18, 2021

Mimimi – Die Tage 0 und 1 aus meiner Sicht

Ich bin Kalligraph und Autor. Es ist also mein Job, Buchstaben in Worte zu verwandeln. Doch das Schreiben ist für mich auch Therapie; die Möglichkeit Erlebtes zu begreifen und zu verarbeiten. In den letzten Wochen ist in meinem Leben, genauso wie in den Leben anderer Mitmenschen, viel passiert. Die folgenden Zeilen wollen aber kein objektiver Bericht sein. Mir fehlen zu viele Fakten und emotional hänge ich noch zu sehr in den Ereignissen dieses Julis 2021 fest.

Ich bin aber in erster Linie auch Familienvater. Mit Leib und Seele. Deshalb wollte ich mich immer schützend vor meine Frau und meine Kinder stellen, sie auffangen im Alltag und in jeder Not, in die sie geraten könnten. Angesichts der Katastrophe war dies die schlimmste Lehre in meinem Leben, dass ich hier -ganz subjektiv betrachtet- durch meine Macht- und Hilflosigkeit versagt habe. Eine Lektion in Demut. Ich wurde aufgefangen. In erster Linie von meiner Frau und meinen Kindern, aber auch von Verwandten, Freunden, Bekannten und wildfremden Leuten, die spontan einfach da waren, um zu helfen. Sie alle arbeiteten daran, die verlorengegangene Normalität mit Brechstange, Bohrhammer und bloßen Händen aus den Trümmern meines Zuhauses herauszuschuften. Dafür bin ich bis auf die Knochen dankbar.

Es ist Mitte Juli. Der lang ersehnte Urlaub hat begonnen. Zum ersten Mal seit langer Zeit wollen wir uns nicht nur eine, sondern gleich zwei Wochen im Allgäu gönnen. Eine kleine Ferienwohnung in einem Ort, wo sich Fuchs und Gans abends eine „Gute Nacht“ wünschen. Die ersten Tage vergehen mit kleinen Wanderungen, den üblichen Instagramfotos und gemütlichen Trödeleien. Zwischendurch erwische ich mich dabei, dass ich die Wetterapp inspiziere, und freue mich auf eine diffuse Art, dass wir in Bayern doch besseres Wetter als in der Heimat haben. Allerdings meldet sich bald auch die NINA-Warnapp mit einer Unwetterwarnung. Starkregen in NRW. Gab es ja schon öfters. Ich kann nicht behaupten, dass mich das auch nur im Ansatz besorgt gemacht hätte.
Dann, am 14 Juli, kommt mittags eine WhatsApp meiner Mutter: „Regen Regen bei euch auch???“
Ich antworte: „Nö. Kurzer Schauer. Für nachmittags ist Regen angesagt. Aber kalt“
„Bei uns regnet es seit gestern durch.“ Dann folgt noch ein lustiges Meme mit Noahs Arche. Ha. Ha.
Neun Stunden später, kurz vor Elf. Ich habe mit meiner Großen die Nachrichten angeschaut. Meine Frau und meine Jüngste sind schon im Bett. Ich tippe eine Nachricht unter den Noah-Bilderwitz: „Schlimme Bilder in den Nachrichten. Bei dir alles in Ordnung?“
Auf Facebook kommen erste Meldungen, dass in Hoffnungsthal die Hauptstraße überflutet sei. Etwas verunsichert fragt mich meine Tochter, ob auch bei uns Hochwasser möglich sei. Ich werde wohl nie meine Worte vergessen: „Unmöglich ist es nicht. Aber sehr, sehr unwahrscheinlich.“ Immerhin haben wir vor ein paar Jahren mal eine amtliche Hochwassereinschätzung bekommen: Selbst im „Worst Case“ Fall würde ein Hochwasser nur meine Grundstücksgrenze erreichen. Warum nur bin ich trotzdem verunsichert? Wir gehen schlafen.

15ter Juli, früh. Aus dem kleinen Wohnzimmer ruft mich meine Frau. Ich habe keine Zeit zum Wachwerden. Eine ehemalige Nachbarin hat via WhatsApp geschrieben, dass das Wasser auch in unserer Siedlung steht. Ich springe in meine Klamotten, packe Papiere, Geld, etwas Zutrinken und ein abgepacktes Croissant in eine Tasche. Habe ich auch die Lesebrille eingesteckt? Ja. Ich werde sie trotzdem erst eine Woche später wieder in den Händen halten, da ich just einfach vergesse, wo sie ist.
Mein Plan: Alleine nach Hause fahren. Meine Familie soll weiter Urlaub machen und ich kümmere mich um die Sachen, die halt so zu tun sind. So schlimm wird es hoffentlich nicht sein.

Es ist so schlimm. Spätestens als ich um 12:00 Uhr auf dem Parkplatz der Raststätte Würzburg die ersten Fotos auf dem Handy sehe, weiß ich, dass da mit Aufnehmer und Schrubber nichts zu machen ist. Ich sehe auf dem Bild ein schwimmendes Sofa im Wohnzimmer meiner russischen Nachbarn. Zeitindex 9:37 Uhr.
Meine Schwiegereltern stehen derweil auf der Sülztalstraße und blicken in die überschwemmte Siedlung hinab. Sie haben besagten Aufnehmer und Schrubber dabei. Bei einem Wasserstand von 50cm Höhe, erzählen Sie mir später, kommen sie sich etwas verloren vor.
Das Handy meiner Frau brummt im Sekundentakt, schreibt sie mir. Schon jetzt kommen Hilfsangebote von allen Seiten.
Ich fahre weiter und während im Radio die schlimmen Berichte aus dem Ahrtal kommen, geht bei mir das Kopfkino los. Was wird kaputt sein? Was ist zu tun? Bin ich dagegen versichert? Versichert? Als wir unser Haus 2006 kauften, war das finanziell eine riskante Sache und eine der zahlreichen Sparmaßnahmen war möglichst günstige Versicherer auszusuchen. Verdammt! Mir will nicht mal einfallen, bei welchem Anbieter meine Hausratversicherung ist. Wenn unten alles kaputt ist und wir unseren Schaden komplett selbst bezahlen müssen, dann … muss ich zu Bank. Mein Renteneintrittsalter kann ich dann wohl auf unbestimmte Zeit verschieben. Aber das ist zu stemmen. Also positiv denken! Stell dich nicht so an, sage ich mir. Im Radio wird von vielen Toten gesprochen und ich sollte dankbar sein, dass meiner Familie und mir nichts passiert ist.

Drei Stunden später. Am Autobahnkreuz Siegburg schaue ich mir die Landschaft genauer an. Alles ganz normal. Keine Spur einer Katastrophe. Ausfahrt Lohmar. Ein Blick hinunter zur Agger. Hochwasser. Aber auf den ersten Blick steht das Wasser nur bis zu den Dämmen. Nein. Dahinten stehen auch Häuser in der braunen Brühe. Das Stückchen Landstraße zwischen Lohmar und Rösrath: Links von mir sind Wiesen, Äcker, der Campingplatz und alles andere in einer weiten Seenlandschaft verschwunden. An der Kreuzung vor Rösrath stehen plötzlich rotweiß gestreifte Absperrungen. Bestimmt, damit keine Schaulustigen in den Ort fahren. Aber ich bin ja ortsansässig, fahre an den Absperrungen vorbei. Hundert Meter später endet mein Manöver. Die Straße ist abgesperrt, weil der Hang darüber ausgespült wurde. Ein Bagger gräbt sich hier durch zwei Meter hohen Lehm. Hier gibt es kein Weiterkommen. Also mache ich kehrt und nehme den Umweg durch das Industriegebiet Scharrenbroich.
Ich komme an. Nein. Eigentlich nicht, denn der Verkehr wird vor der Zufahrt in die Siedlung umgeleitet. Also parke ich das Auto in der Bushaltestelle Pannhof. Ein Knöllchen ist mir gerade scheißegal. Der Polizei, die nur wenige Meter entfernt steht, auch. Im nächsten Moment gehe ich die Leitplanke entlang, hab filmreif die Hand vor den Mund geschlagen und kämpfe darum, die Fassung zu bewahren. Die Siedlung steht immer noch fast komplett unter Wasser. Die Feuerwehr steht am Altenwohnheim, ein paar Anwohner bereichern das unwirkliche Szenario. An mein Haus komme ich noch nicht ran. Der Wasserstand auf dem Fußweg vor der Haustür ist noch ca 60cm hoch.
Mein Handy meldet sich. Ich habe ein paar Nachrichten meiner Frau nicht gelesen. Die Letzte ist nur ein besorgtes „Wo bist Du???“
Ich mache ein kurzes Video von schwimmenden Mülltonnen, verschicke es. Dann telefonieren wir und wenn ich mich richtig erinnere, dann breche ich zum ersten Mal in Tränen aus. Es wird nicht das letzte Mal sein.

Ein paar kurze Gespräche mit den Nachbarn. Die Feuerwehr habe in der Nacht die Anwohner noch beruhigt: „Keine Sorge, hier kommt kein Wasser hin. Bleiben Sie Zuhause.“ Kurz darauf ist das Wasser in die Siedlung gelaufen. Später erfahre ich, dass in nur sieben Minuten unsere Häuser vollgelaufen sind. Es war nicht mal Zeit, die Autos in Sicherheit zu bringen. Braune Linien im Glas der Seitenfenster eines SUV verraten den höchsten Wasserstand.
Verschiedene Anwohner haben gerade die Gullydeckel ausgehoben und drücken an den höher gelegenen Straßenabschnitten das Wasser mit Besen und Schrubbern in den Kanal. Ich halte das für müßig. Was kaputt ist, ist kaputt und der Faktor Zeit spielt keine Rolle mehr. Auf der Wasseroberfläche erkenne ich an manchen Stellen eine Strömung: Die Sülz kriecht in ihr Bett zurück. Ich schätze, dass ich in zwei Stunden vielleicht in mein Haus kann und beschließe solange nach Köln zu meinen Schwiegereltern zu fahren.

Bewaffnet mit den riesigen Gummistiefeln meines Schwiegervaters und einem Wasserabzieher komme ich zurück. Auf dem Weg vor meinem Haus ist das Wasser immer noch fast knietief. Doch ich nutze die leichte Steigung zu den Grundstücken und wate vorsichtig zur Haustür. Sie liegt inzwischen über dem Wasserspiegel. Ich schließe auf und mit etwas Mühe komme ich herein. Die Schuhtruhen haben sich im Flur verkeilt, lassen sich aber zur Seite schieben.
Ich widerstehe dem aberwitzigen Drang, die Stiefel auszuziehen, damit ich keinen Dreck ins Haus trage. Und dann der erste Blick ins Chaos. Er ist gefiltert durch hoffnungsvolle Gedanken, dass der Schaden überschaubar ist. Möbel, Küche, Laminat sind hinüber. Alles ist mit einer braunen Schicht schleimigen Lehm bedeckt. Wäre der Fernseher zwei Zentimeter höher gewesen … Nein. Ist er nicht. Moment! Elektrogeräte. Zuerst mal alle Sicherungen rausdrücken. Das Haus scheint zwar tot zu sein, aber man weiß ja nie.
Zurück zur Bestandsaufnahme. Ein paar schnelle Fotos für die Versicherungen. Wenn man über den Boden läuft, hebt und senkt er sich. Schwimmend verlegt, schießt es mir durch den Kopf. Witzig, Walther! Die Buchführungsunterlagen in den Schubladen des nigelnagelneuen Sekretärs schwimmen auch.
Ob nur ein paar Minuten vergangen sind, oder ob ich hier eine Stunde dumm herumgestanden habe, kann ich im Nachhinein nicht sagen. Gestern war ich noch am Alpsee in Bayern. Heile Welt und wohlige Ahnungslosigkeit. Das scheint ewig her zu sein. Ein anderes Leben. Mein Zeitgefühl ist mit diesem Moment verloren und wird sich erst einen Monat später wieder finden.
Mit dem Abzieher beginne ich irgendwann, das Wasser herauszudrücken. Nebenbei verteile ich erste Babyfotos auf der trockenen Platte des Esstischs. Auch das Familienstammbuch und verschiedene andere wichtige Dokumente, die mir in die Finger fallen. Das muss alles gerettet werden. Das muss alles trocknen. Nur wie? So viele trockene Plätze gibt es hier nicht.

Alexandra kommt. Meine ehemalige Nachbarin ist die erste helfende Hand. Und außerdem stehen plötzlich vier Rentner in der Tür. Drei Frauen, ein Mann. Ich kenne sie nicht, sie kennen mich nicht. Aber ich brauche doch bestimmt Hilfe, finden sie. Das kann ich nicht leugnen. Schon wischen und putzen sie, rücken Möbel auseinander und arbeiten, wo ich noch fast apathisch vor mich hinstarre. Doch ich reiße mich zusammen, räume noch bis 21:30, als die anderen schon weg sind. Obwohl ich wahrscheinlich recht unkoordiniert am Werkeln bin, findet sich immer mehr, was noch zu tun ist. Erst die einfallende Dunkelheit, diktiert mir das Ende.
Währenddessen koordiniert meine Frau in Bayern via Handy die vielen Hilfsangebote und versucht die Kids zu beruhigen. Und umgekehrt.

Für die Nacht quartiere ich mich bei meiner Mutter ein. Ein letztes Bier, eine halbe Stunde unkonzentriert fernsehen und dabei Erlebtes abspulen. Dann finde ich mich in meinem Bett aus Jugendzeiten wieder, starre die Decke an und mache eine weitere ganz persönliche neue Erfahrung: Ich kann nicht mehr einschlafen.

Fortsetzung Tag 2 und 3

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