Hochwasser Rösrath

Das Hochwasser 2021 (Teil4)

By Markus Walther, September 9, 2021

Der Einzug der Steinspechte

Fortsetzung von Tag 4

Tag 5 (19.Juli)

Seit gestern haben wir in der oberen Etage wieder Strom. Auch eine höher gelegene Steckdose in der Küche, die eine separate Sicherung hat, wurde von dem Elektriker freigegeben. Für fünf Minuten Sicherungen reindrücken hat er sich spontan 15,- Euro genommen. Er ist dabei nicht mal rot geworden. Immerhin hat er auf diese Weise die ganze Siedlung abgegrast, da hat man Übung. Einen Quittungsblock hatte er natürlich nicht dabei. Sei es drum. Hauptsache wir können arbeiten.
Für Bohrhammer, Nasssauger & Co. haben wir also Strom. Außerdem ist unser Zuhause – oder das, was davon noch übrig ist – nicht mehr tot. Wir können hier wieder wohnen. Nur Pepper, unsere Labradorhündin, lassen wir noch bei meinen Schwiegereltern. Der heutige Lärm wäre für ihre Ohren nur Tierquälerei.

Sascha wollte uns für heute einen Container besorgen. Doch so kurzfristig ging das nun doch nicht. Problemlöser, der er ist, stellt mir Sascha erst mal provisorisch seinen Firmenanhänger hin. Plane drauf, Rampe davor. Alles bereit. Werkzeuge, Gehörschutz und Arbeitshandschuhe hat er auch mitgebracht. Und wenn ich noch was brauche, soll ich mich einfach melden. Der Kerl ist Gold wert. Außerdem bringt er Lukas mit. Dieser Teenager wird in den nächsten Stunden wie ein Erwachsener mitschuften. Wahnsinn.

Am Nachmittag können wir anfangen. Reiner bringt auch noch Werkzeug mit. Mein Bruder (auch ein Rainer) kommt kurz darauf unter anderem mit zwei Schubkarren, Kühlschrank und Herdplatte. Letztere beiden brauchen wir nicht zum Abreißen, sind aber für unsere Noteinrichtung essenziell. Unterm Dach in meinem Büro entsteht eine Behelfsküche mit Mikrowelle und Kaffeemaschine. Meine Jüngste ist begeistert: Sie will seit Jahren einen eigenen Kühlschrank im Zimmer haben und heute erfüllt sich ihr Wunsch. Es ist halt doch nicht alles Scheiße. Außerdem haben wir wieder W-LAN. Yeah!

Ein langer Holzstil, daran ein schweres Stück Eisen: Ich hole mit dem Hammer hoch über die Schulter aus und zertrümmere die ersten Kacheln vom Fußboden der Küche. Ich würde jetzt gerne schreiben, dass dieser Akt der Zerstörungswut befreiend oder befriedigend ist. Er ist es nicht. Ich mache hier weiter mein Zuhause kaputt und es tut mir einfach nur in der Seele weh. Selbst die Rambo-Pose mit dem schweren Bohrhammer in der Hand taugt nur für einen kurzen Gag. Mit dröhnenden Tatatatata hauen wir uns in den Boden, der sich nach und nach in mehr oder minder großen Bauschutt verwandelt.
Unter dem Estrich und der Isolierung aus Folien und Styropor steht das Wasser. Nicht gerade wenig. Die Entscheidung, den Boden herauszuschlagen, war also richtig. Auch wenn ich von der Versicherung diesbezüglich noch kein eindeutiges Okay bekommen habe. Ich beziehe mich auf die Aussage, dass ich „schadensminimierend“ arbeiten darf. Zur Not muss ich die Instandsetzung aus eigener Tasche bezahlen. So wie es jetzt ist, kann es keinesfalls bleiben.

Bis zum Abend schaffen wir den Hochkeller, einen großen Teil der Küche und des Windfangs. Aber ich komme zu der Erkenntnis, dass wir Hilfe brauchen, denn je länger diese Aktion dauert, um so höher steigt das Wasser die Wände hoch. Ich muss unser Haus schnell irgendwie trocken kriegen, denn während wir hier noch alles abreißen, bemühe ich mich zwischendurch mit dem Telefon um Handwerker. Mir ist klar, dass der Wiederaufbau nur mit fachkundiger Hilfe gelingen kann. Aber Elektriker, Fliesenleger, Maler usw. werden in den nächsten Monaten mehr als ausgebucht sein. Je länger ich warte, um so schwerer wird es sein, jemanden zu finden. Tatsächlich ist es jetzt schon so, dass man fragt, ob man jemanden kennt, der jemanden kennt, der jemanden kennt.

Sascha kommt vorbei und ist erstaunt, dass wir noch nicht fertig sind und warum wir so fertig sind. Er würde das ja das komplette Erdgeschoss in zwei oder drei Stunden aufstemmen, behauptet er. Spaß oder erst? Ich weiß es nicht. Aber er schnappt sich die Maschine und hämmert für zehn Minuten wild drauf los. Dann verspricht er, dass morgen an dieser Stelle seine Firma übernehmen wird.

Tag 6 (20. Juli)
Sascha hält Wort. Aus seiner Bauelemente-Firma wird von jetzt auf gleich eine Abriss-Firma. Hatte ich schon erwähnt, dass der Mann Gold wert ist? „Ich hab noch die große Maschine gekauft, Container bestellt. Um den Styropor kümmern wir uns auch. Jetzt muss ich nur noch sehen, wie sich das Ganze irgendwie rechnet.“
„Du brauchst Aufträge?“, frage ich. „Moment.“ Ich höre mich um. Kurz darauf will fast die ganze Nachbarschaft von Sascha den Estrich rausgeschlagen bekommen.
Auch die Freundinnen meiner Töchter stehen wieder zum Helfen bereit. In den nächsten Stunden hämmern und bohren die Einen, während die Anderen Schutt zum neu abgestellten Container tragen oder zerbröselten Styropor aussortieren.

Im Laufe des Tages kommt der Sperrmüllwagen. Endlich haben sie sich zu uns durchgearbeitet. Seit zwei Tagen fahren sie bereits täglich unsere Siedlung an, doch bis in unsere Straße dringen sie nicht vor. Zu viel Sperrmüll. Die Mitarbeiter des Entsorgers sind so fertig, dass ein Nachbar ihnen eine Zigarettenpause empfiehlt. Wir übernehmen ihren Job. Sofa, Schränke, Küche, einfach alles verschwindet in der Müllpresse des Fahrzeugs. Sehr zum Erstaunen aller anwesenden Herren, packt meine Frau kräftig mit an. Sie hebt und stemmt allein die Möbel in die Klappe. Für den Rest des Tages nenne ich sie nur noch She-Hulk.

Alle Arbeiten laufen und ich würde ja gerne berichten, dass ab diesem Zeitpunkt es nur noch aufwärts geht. Doch Hiob und seine Botschaften nähern sich wieder getragen von leisen Schwingen.
Meine russische Nachbarin begegnet mir auf der Straße hinterm Haus. Sie sieht fertig aus. Der Sachverständige ihrer Versicherung war gerade bei ihr, erzählt sie mir. Er habe Fäkalien und Öl in den Wänden festgestellt. Der Putz muss deshalb bis 15 Zentimeter über den höchsten Wasserstand abgeschlagen werden. Es braucht einen Augenblick, bis ich begreife, dass dies auch für mein Zuhause gilt. Wir müssen noch mehr einreißen; noch mehr kaputt machen. Und es wird noch länger dauern, alles wieder in Stand zu bringen. Während ich noch überlege, wie ich das meiner Frau beibringen kann, spüre ich, dass das gerade der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Ich gehe die Treppe hoch, sag meiner Familie, was Sache ist und breche dann auf der obersten Stufe förmlich zusammen. Es sind nur Wände, versuche ich mir klarzumachen. Nur Wände! Die anderen Schäden im Haus sind größer, kostspieliger. Und irgendwie ist das auch zu schaffen. Das Geld ließe sich – selbst wenn die Versicherung nicht greifen sollte – aufbringen. Keine Sorge. Es sind nur Wände.

Es ist die Müdigkeit. Ich habe seit Tagen fast nichts geschlafen. Und es ist der Overkill an Reizen. Es ist der verzweifelte Wille immer noch stark zu sein, obwohl es einfach nicht mehr geht. Es ist die Minute meines absoluten Tiefpunkts. Oder die Stunde.
Aber ich bin nicht allein.

Später. Ich kontaktiere via WhatsApp den Außendienstmitarbeiter meiner Wohngebäudeversicherung, bitte um Rückruf. Er antwortet, dass sich ein Schadensregulierer „seeehr“ bald melden würde. Ob ich nun abwarten muss, oder die Wände auch abschlagen darf, teilt er mir nicht mit. Also im Zweifelsfall abwarten, sage ich mir. Vielleicht müssen ja Schadstoffmessungen gemacht werden, oder so. Es gibt ja noch genug anderes zu tun.

Wir schuften weiter. Irgendwann machen wir Pause. Einer der Arbeiter, mit dem ich mich zwischenzeitlich gut angefreundet habe, steht mit mir am Gartenzaun in einem Idyll aus Elektroschrott und Bauschutt. Plötzlich stehen zwei – ich sage es nun ganz politisch unkorrekt – Zigeuner bei uns. Ich habe nicht gefragt, ob sie Sinti oder Roma sind, sorry. Einer von beiden fragt höflich, ob sie den defekten Fernseher meiner Nachbarn mitnehmen dürfen. Genau so höflich mache ich sie darauf aufmerksam, dass Sperrmüll und Elektroschrott generell nicht mitgenommen werden dürfen und in diesem speziellen Fall erst recht nicht, da auch bei meinen Nachbarn ein Schadensregulierer die Schäden am Hausrat notieren wird. Damit sollte die Sache erledigt sein. Leider nein. Die beiden tun zwar desinteressiert, bleiben aber in der Nähe und warten darauf, dass wir unsere Pause beenden.
Sie werden von uns also sachlich aufgefordert, den Privatgrund zu verlassen. Es dauert keine fünf Minuten und die Lage eskaliert. Beide prügeln auf den Arbeiter ein. Nachbarn und sogar meine Frau gehen dazwischen, während ich die Polizei rufe. Die beiden flüchten.
Es ist nicht der einzige Zwischenfall dieser Art. In den letzten Tagen haben wir Hochwassertouristen gesehen, die lachend Selfies vor unserem aufgetürmten Hausrat machen. Wir haben Schrottsammler und Plünderer erlebt. Und in Häusern, wo die Leute übergangsweise ausgezogen sind, wurde sogar nachts eingebrochen. Ich bitte einen Polizisten darum, in den nächsten Tagen in unserer Siedlung mehrmals Streife zu fahren. Und wirklich zeigen, sie ab da an Präsenz.

Tag 7 (21. Juli)
Die ganze Siedlung hört sich inzwischen an, als wären wir ein Brutgebiet für Steinspechte. Diese selbsterfundene Vogelart nistet offenbar am liebsten in kahlen Erdgeschossen und sucht lautstark mit dem Schnabel in den Wänden hämmernd nach Nahrung. Doch in Wirklichkeit sind es nur die Bohrhämmer, die Estrich und Verputz aus den Häusern schlagen. Dieser Lärm, mal näher, mal weiter entfernt, wird uns Tag für Tag bis tief in den September begleiten.
Eine Woche haben wir nun schon im Ausnahmezustand verbracht. Heute stellt sich heraus, dass wir uns auch noch von der Gästetoilette verabschieden müssen. Bis zuletzt hatte ich gehofft, sie retten zu können. Doch die Kacheln heben sich und an den Wänden ist die Feuchtigkeit bis über den Fliesenspiegel gestiegen. Weil ich aber gestern mein emotionales Limit überschritten habe, kann mich das auch nicht mehr schocken. Raus. Raus. Alles einfach nur raus. Im Wohnzimmer werden noch die Rigipsplatten vor den Rohren entfernt, die Kabelummantelungen aufgeschnitten und die ersten Heizkörper demontiert. Und dann stellen wir einen vom Nachbarn geliehenen Bauventilator auf. Bautrockner sind Mangelware und werden wie Gold gehandelt. Wir konnten noch keinen ergattern.

Dank geht raus an: Reiner, Rainer, Julia, Helen, das Team Bauelemente Cramer (especially to Sascha, Lukas und Peter), Hilmi

Fortsetzung