22. Juli. Jetzt sind wir über eine Woche im Ausnahmezustand und ich würde gerne berichten, dass es ab hier nur noch aufwärts geht. Nun … ich will nicht lügen. Aber die schlimmsten Tage sind wirklich vorbei und ab hier kann ich kaum noch chronologisch erzählen. Viele Erlebnisse, viele Begebenheiten verwischen mit der Zeit.
Während sich unser Untergeschoss in den nächsten Tagen weiterhin mehr und mehr in einen entkernten Rohbau verwandelt, versuchen wir, uns einen notdürftigen Alltag einzurichten. Dieser Alltag birgt Tücken. Einen einfachen Cappuccino zuzubereiten und dann zu genießen, wird zum Happening: Die Milch ist im Zimmer der Jüngsten, die Kaffeemaschine im Büro, Obergeschoss, Geschirr auf der Treppe. Süßstoff … äh … im Schlafzimmer. Gespült wird in einer Bütt in der Badewanne. Ach ja: Getrunken wird im Bett. Bitte nicht kleckern!
Kochen ist noch komplizierter. Das ist der Grund, warum sich die Pizzadienste in der Siedlung dumm und dämlich verdienen. Wenigstens sind wir nicht die Einzigen, die diese Problematik kennen. Nach ein paar Tagen Junkfood, weiß man einen guten Salat wirklich zu schätzen. Aber Suppe und Dosenravioli aus der Mikrowelle kann man irgendwann einfach nicht mehr sehen.
Bevor ein falscher Eindruck entsteht: Verhungern müssen wir nicht. Immer wieder bekommen wir Essen gebracht. Das Rote Kreuz, THW, liebe Rösrather, der örtliche Bäcker, Nachbarn, Sascha, Peter, Dirk und Stephie – sie alle bringen insbesondere in den ersten Tagen mit Brötchen, Pizza, Eis und Kuchen die Versorgungslage in den grünen Bereich.
Das Thema Versicherungen ist immer noch nicht durch. Die Hausratversicherung kann ich abhaken. Elementar nicht inbegriffen. Ca. 30.000 Euro Schaden schätze ich. Tja. Wie froh und freundlich die Telefonisten bei unserem Gespräch war, geht mir bis heute nicht aus dem Kopf. Sie hat nicht „Juhu!“ gesagt. Das war es auch schon.
Und die Wohngebäudeversicherung lässt mich in der Luft hängen, denn der Sachverständige kommt und kommt nicht. Alle Arbeiten lasse ich auf eigenes Risiko machen. Ob das nachher alles unter „Schadensminimierung“ läuft, weiß ich nicht. Aber schlussendlich ist es egal. Selbst wenn ich einen Teil selbstbezahlen muss, weiß ich, dass kein Weg darum herum führt. Ich vergebe deshalb nach einigem Zögern auch den Auftrag zum Abschlagen des Putzes. Es muss getan werden.
Für mich gerät die Angelegenheit mehr und mehr zum Nervenkrieg. Der Außendienstler ist auch nach der tausendsten WhattsApp-Nachricht sehr geduldig mit mir und kann irgendwann selbst nicht mehr verstehen, warum es so lange dauert einen Schadensregulierer zu schicken.
Am 29. Juli kommt dann doch der gute Mann. Meine Vermutung, dass er umfangreiche Messungen tätigen wird, kann falscher nicht sein. Der Mann betritt das Haus, lässt einmal den Blick schweifen, redet kurz mit mir und sagt dann: „Rückbau bis zum Rohbau.“ Er schlägt seinen Ordner auf. Das Formular, das für die Schadensdiagnose ein riesiges Textfeld freihält, wird mit eben diesem einen halben Satz gefüllt. „Rückbau bis Rohbau.“ Den Schaden beziffert er „erstmal“ mit 50.000 Euro plus x. Es folgt ein coronakonformer Abschiedsgruß und nach einer gefühlten Viertelstunde ist der Gute auch schon wieder weg.
Die anschließende Kommunikation mit der Versicherung läuft nach wie vor über den Außendienstmitarbeiter. Ich habe zwar eigentlich einen Sachbearbeiter zugewiesen bekommen, doch der beantwortet nicht eine einzige Email, kommentiert keinen Kostenvoranschlag, noch bestätigt er eine Rechnung. Das wird sich bis Mitte September nicht ändern. Erst dann bekomme ich einen Textbaustein-Brief, dass ich Rechnungen bitte online einreichen soll und dass etwaige Ansprüche oberhalb der bestätigten Schadenssumme später geprüft werden. Immerhin ist bis dato schon Geld geflossen und ich kann die Handwerker seit August immer sofort bezahlen.
Von meinen Nachbarn habe ich da anderes gehört: Da stellen sich die Versicherer mitunter heftigst auf die Hinterbeine. Zu all dem Leid, darf sich so manche/r nun auch noch um die Schadensregulierung streiten. Da habe ich tatsächlich Glück. Meine Versicherung ist zwar nicht wie im Werbezusatz behauptet „direkt“ – aber zahlungswillig. Danke!
Die politische Aufarbeitung des Hochwassers hat längst begonnen. Der Wahlkampf tobt und Hilfsgelder sind schnell beschlossen. Das ist toll! Weniger toll ist ein lachender Bundeskanzlerkandidat. Der hat mich aber nur halb so sehr aufgeregt, wie unsere Rösrather Bürgermeisterin. Keine brauchbare Verlautbarung. Kein ernst gemeinter Dialog. Selbst eine Einladung des Vereins „Lebenswertes Sülztal“ zur Podiumsdiskussion hat sie abgelehnt. Es gebe noch nichts zu sagen. Meine Güte! Es gibt so viel zu sagen und es wurden schon viele Informationen gesammelt und bereitgestellt – nur eben nicht von der Repräsentantin der Stadt, sondern von Privatleuten und Vereinen.
So wurde zum Beispiel in der Katastrophennacht kein Sirenenalarm ausgelöst, weil der Verantwortliche eine Überlastung der Notrufnummern verhindern wollte. Lieber die Leute schlafen lassen, als warnen. Es hätte sowieso niemand verstanden, dass ein Alarm „Alarm“ bedeutet … Was für eine Argumentation!
Ob die Böden mit weiteren Chemikalien belastet sind, ist noch nicht eindeutig geklärt. Es hat im Bergischen Land Messungen gegeben – aber nicht speziell in Rösrath.
Nein, die Bürgermeisterin hätte das Hochwasser nicht verhindern können. Für alte Bebauungen in Überflutungsgebieten kann sie nichts. Sie kann wahrscheinlich auch noch nichts über zukünftige Maßnahmen erzählen. Aber zwei Monate vollkommen abzutauchen, sollte nicht ihre Alternative sein.
Zurück zum Juli. Die Welle der Hilfsbereitschaft ist höher als jede Flutwelle: Veronika und Guido organisieren für meine Kids eine Flucht ins Phantasialand, Stephie und Olli versorgen uns mit Essen, organisieren einen Bautrockner und bunkern Umzugskisten in ihrer Garage, Schwiegermama übernimmt die Wäsche, Kathrin beschenkt uns in regelmäßigen Abständen, Handwerker ziehen unsere Aufträge trotz voller Auftragsbücher vor, uns wird eine Küche zum Selbstkostenpreis verkauft, von der Bank ein zinsloser Kredit gewährt. Und immer wieder wird mir von Freunden, Bekannten und sogar von meiner Kundschaft Geld geschenkt. Es ist … ein seltsames Gefühl, dieserart Geschenke anzunehmen.
Natürlich gibt es auch Menschen, die unserer Situation mit Unverständnis entgegentreten. „Ihr habt wenigstens keinen Keller. Daaas wäre schlimm.“, „Stellt euch nicht so an.“, „Ihr habt doch Glück gehabt, schaut mal in die Eifel.“, sind Sätze, die wir uns anhören müssen. Der letztere Satz (auch wenn er wahr ist) tut irgendwie besonders weh. Eine Katastrophe mit einer viel größeren zu relativieren, macht die eigene Situation nicht besser. Es hat nur den Effekt, dass man sich noch schlechter fühlt, weil man sich ja anscheinend nur „mimimi“ anstellt.
August. Der Bautrockner ist genau genommen ein Baukondensator. Alle Fenster und Türen zum Erdgeschoss müssen daher geschlossen bleiben. Die Luft wird erwärmt, damit sie die Feuchtigkeit ins Gerät trägt. Unser Haus wird für die folgenden Wochen zur tropischen Zone. Doch statt Papageien und Affen hören wir nur das monotone Dröhnen der Maschine. Tag und Nacht. Wir beginnen mit einer Luftfeuchtigkeit von 84% und tragen jeden Tag drei randvolle Behälter Kondenswasser in den Garten. Das Mauerwerk ist durch den Wasserdruck des Hochwassers immer noch mit Feuchtigkeit gesättigt. Bis zum 26. August läuft das Gerät nonstop. Zum Schluss erreichen wir, laut Anzeige, eine Luftfeuchtigkeit von 34%.
Nun kann der Verputzer arbeiten. Danach der Estrichleger. Elektriker und Heizungsmonteure müssen kurz vorher für die Vorarbeiten ran. Der Maler kann zwischendurch auch schon was tun.
Jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, ist der 18. September. Verputz und Estrich sind halbwegs trocken. Nächste Woche wird der Boden verlegt. Wenn der Fliesenleger dann durch ist, können wir die Küche und die Möbel bestellen. Bald haben wir auch wieder überall Strom und Heizung. Irgendwann werden auch die Türen und Fenster kommen. Das nach Brackwasser stinkende Gartenhaus samt Holzzaun muss auch noch weg. Und die kaputte Terrasse.
Alles wird chic. Alles wird neu. Ein Neuanfang – so schmerzhaft er auch ist – hat auch was Gutes. Wer bekommt in so kurzer Zeit schon ein fast neues Haus? Wer leistet sich in so kurzer Zeit einen neuen Hausstand? Und vor allem: wer findet in so kurzer Zeit so viele liebe Menschen?
Ich laufe immer noch auf dem Zahnfleisch, doch langsam kommt alles wieder unter Kontrolle. Es wird zwar noch etwas dauern, bis ich nächtlichen Regen einfach überhören kann. Und es wird auch dauern, bis aus dem Haus ein gefühltes Zuhause wird. Aber ich kann wieder planen, organisieren. Ab November werden wir, so Gott will, alles wieder hergerichtet haben.
Jetzt nur nicht ungeduldig werden.
Alles wird gut.
Danke für’s Lesen!
Markus Walther
Mein Mitgefühl gilt allen vom Hochwasser Betroffenen. Allen. Insbesondere aber denen, die Tote zu beklagen haben oder die ihr komplettes Hab und Gut verloren haben.
Dank geht raus an: Vroni, Guido, Stephie, Olli, Kathrin, Frau Tenhaeff, Frau Haß, Frau C. Engels & Team, Fliesen Vux, Dirk Brandner, Böden Schmitz, Elektrik Neuhalfen, Herr Achzenick, KSK Rösrath, DasKüchendepot und Herr Bach, alle Hilfskräfte der öffentlichen Seite. Und Dank an alle hier ungenannten Helfer.